UZ-Interview: Die Grenzgänger und Frank Baier singen vom Ruhrkampf
1920. Kurz, und knapp und trotzdem sperrig ist dies der Titel der CD, die die Bremer „Grenzgänger“ in Zusammenarbeit mit dem Duisburger Volkssänger Frank Baierherausgebracht haben. Es sind Lieder und Texte aus dem Ruhrkampf, dem nahezu vergessenen Aufstand im Frühjahr vor 86 Jahren. Ein umfangreiches Booklet informiert über die Texte und ihre Autoren, die historischen Hintergründe und die Musiker. Wir sprachen mit Michael Zachcial und Frank Baier über die Produktion, in der Arbeiterlieder musikalischen Formen wie Chanson, Sprechchor, Samba, Jazz, Reggae und Rap begegnen.
UZ: Wer interessiert sich für eine CD mit dem Titel „1920“, außer denen, die die Geschichte des Kapp-Putschs und des Ruhrkampfs kennen?
Michael: Theoretisch jeder. Es ist gute Musik. Ich gehe davon aus, dass man 100 000 bis 150 000 davon verkaufen kann. Die Frage ist: Wie erlangt das Publikum Kenntnis davon?
UZ: Ihr interpretiert die alten Arbeiterlieder in zeitgemäßer musikalischer Form. Wir sind gewöhnt, diese Lieder in historischen Aufnahmen zu hören, als Erinnerung an heroische Zeiten der Arbeiterbewegung. Welche Rolle spielt die Form?
Michael: Es geht nur so, es ist nur so schlüssig. Wir saßen in der Küche, einer hatte eine Idee, hat es dem anderen vorgespielt, dann haben wir gesagt, so machen wir es, das klingt überzeugend.
Frank: Es sind da Unterschiede im Herangehen. Michael ist teilweise mit dem traditionellen Material sehr großzügig umgegangen. Er war immer sehr kreativ, um eine neue Form zu finden, auch die Melodie zu verändern. Ich bin mehr der Chronist gewesen. Ich hab mich gefühlt als einer, der etwas transportieren durfte, was mir der alte Johannes Leschinsky, der am Ruhrkampf teilgenommen hatte, vor vielen Jahren vorgesungen hat. So ist das Muslied entstanden oder „Bei Duisburg sind viele gefallen“. Ich hatte die Aufnahmen und Michael hat damit frei hantiert. Das „Bonzenlied“ von Oskar Kanehl ist so ein ganz modernes Stück geworden. Wir haben das musikalisch ganz breit gefächert.
Michael: Manchmal konnte man aber die Sachen gar nicht besser machen. Zum Beispiel wie Johannes Leschinsky sang „Es zog ein Rotgardist hinaus“, a capella. Das war die optimale Fassung, und es war nur noch die Frage, an welcher Stelle der CD fügt man es ein. Beim „Muslied“ zum Beispiel, da war Frank bockelhart, ich konnte mir ein sparsames Bluespiano und ein Saxofon dazu vorstellen, er sagte: „Nix.“
Frank: Bockelhart. So wie mir der Leschinsky das beigebracht hat. Bockelhart.
Michael: Spannend ist ja, wenn jemand, der ein Lied aus seiner Entstehungszeit kennt und einen ganz anderen Gesangsstil hat als Frank oder ich, das vorträgt. Man hört bei Leschinsky eine völlig andere Art diese Lieder zu singen. So haben wir fast noch eine volkslied-dokumentarische Arbeit gemacht.
UZ: Was ist denn euer politischer Zugang? Mir ist aufgefallen, dass ihr an den Anarchisten Oskar Kanehl erinnert und seine Texte weitertragt. Bei dem bekommen die Sozialdemokraten ihr Fett weg, aber auch die „Bolschewiken“ gelten ihm als „verbonzt“. Habt ihr da besondere Sympathien?
Michael: Unser Herz schlägt für die „Undogmatischen“. Wo den Menschen eine „große Linie“ übergestülpt wird, da haben wir Probleme. Menschen mit Macht und Ansehen ändern ihr Verhalten. Das alte Problem: Man muss sich organisieren, um etwas zu erreichen, man muss sich gemeinsam bewegen, aber man muss aufpassen, dass nicht solche Verbonzungstendenzen entstehen.
Frank: Wir kannten nichts von Oskar Kanehl, als wir mit „1920“ begannen. In der Dortmunder Geschichtswerkstatt stießen wir auf das Buch „Straße frei“. Das war für uns so spannendes Material, dass wir das vertonen wollten, zumal es 1920 entstanden ist. Und dann hat sich Michael drangesetzt und das vertont.
Michael: Mich hat auch der Volksliedton gereizt, der in diesen Texten drin ist. Sie kommen auch gut an trotz holpriger Sätze wie „Wir sind die Arrivierten in der Proletenwelt“. Aber der Refrain: „Bonzen, Bonzen, Bonzen – uns geht´s gut“, das haut rein, das versteht jeder.
Auf der anderen Seite so eine Nummer wie „Wir sind der Pöbel“, da gehen die Urteile von „schrägste“ bis „geilste Nummer auf der Scheibe“. Da war die Idee dahinter, so etwas wie einen Sprechchor zu versuchen. Das war in der Arbeiterbewegung der 20er Jahre sehr populär. Die Wortwahl ist ja auch aktuell. Der französische Innenminister hat die aufbegehrenden Jugendlichen in den Vorstädten als „racaille“, als Pöbel bezeichnet.
UZ: Habt ihr mit diesem Programm Auftrittsmöglichkeiten?
Frank: Seit fast zwei Jahren führen wir „1920“ auf. Es ist anders als sonst bei Produktionen, wo erst die CD da ist und dann die Auftritte folgen. Dadurch konnten wir vieles ausprobieren, in autonomen Jugendzentren wie beim UZ-Pressefest. Wir wollten wissen, ob die Leute auch Spaß an unserer Musik haben, und wir haben die Antwort schon bekommen, lange bevor die CD rauskam. Man merkt schon was daran, dass die Leute intensiv zuhören und nicht sich zurücklehnen.
Michael: Man muss sich bei allen Publikumsreaktionen darüber klar sein, dass die „Ware“ CD ganz schwer zu verkaufen ist. Mundpropaganda wird hier viel ausmachen. Mit Konzerten wird es schwierig. Es gibt kaum noch Veranstalter die in der Lage sind, vier Leute mit Fahrt- und Übernachtungskosten zu engagieren. Dazu kommen GEMA und Saalmiete. Da kostet so ein Abend schnell mal 1700, 1800 Euro. Es gibt nicht viele Veranstalter die in der Lage sind das zu bezahlen. Sponsoren gibt es ja kaum noch. Unglaublich, was seit 1989 im Kulturbereich weggekürzt worden ist.
Man muss zweigleisig fahren. Viele Leute kaufen sich lieber die CD mit dem aufwändigen Booklet, als 12 Euro für eine Konzertkarte auszugeben.
Mit Michael Zachcial und Frank Baier sprach Manfred Idler für die UZ
Unsere Zeit, 17. März 2006 (http://unsere-zeit.de/)