Frank Baier hörte ich zum ersten mal in der Küche meiner Eltern im Duisburger Norden. Es war Sonntagvormittag, ich war 15 und spielte seit einem Jahr Gitarre. Er trat in der „Matinee der Liedersänger“ auf, einer der legendären Radio-Sendungen jener Tage. „Wie würdest du beschreiben, was du machst“, fragte der Moderator: Und Frank antwortete: „Lieder vom Alltag im Ruhrgebiet, von den Menschen, die hier leben und von denen, mit denen wir uns tagtäglich rumärgern müssen“. Und dann „prizzelte“ er los, wie er es nannte, mit Ukulele und Mundharmonika: „Vonne Maloche direkt nach Haus“.
Das nächste Stück sang Frank zum Akkordeon, aus der Perspektive eines Ruhrpott-Schulkindes, das einen Aufsatz über den „Frühling im Revier“ schreiben muß. Die Mutter gibt Ratschläge: „Der hilft uns Licht- und Heizungskosten sparen, mehr ist nicht drin.“
Einige Lieder weiter „Die Karriere der Marion S.“ Auch heute, wo ich viele Jahre später das Konzert von Konserve noch einmal höre, berührt mich diese Geschichte aus der Sicht einer 16jährigen, die Frank deutlich vor „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ veröffentlichte. Ganz ohne Reime wird der Abstieg einer Jugendlichen beschrieben, nah dran an ihrem Alltag, mit harten Worten von Prostitution und Drogen und dem zornigen Refrain: „Schenk mir deine Wut, ich kann sie gebrauchen“.
Frank hatte eine besondere Art von Timing beim Singen, ab und an setzte er die Silben vor die „1“, einen Tick zu früh vor dem eigentlichen Beginn des Taktes, man wusste nie ganz genau wann und wo, es gab seinem Vortrag etwas Improvisiertes, Unmittelbares, als würde der Song gerade im Augenblick entstehen.
Vielleicht kam das vom Skiffle, der Musik, mit der er Anfang der 60er Jahre durchgestartet war. Die „Saints Ramblers“, mit Frank an Ukulele und Gesang, waren eine feste Größe in der Essener Musikszene. Sie spielten sich bis in die Tagesschau, über Talentshows mit Ina Deters „Lucky Girls“ und den frühen Wühlmäusen von Dieter Hallervorden, gewannen 1963 das „silberne Waschbrett“ in Essen-Steele und im Jahr darauf den Skiffle-Wettbewerb beim Jazz-Festival in Dinslaken. Noch sang Frank auf englisch.
Die Bewegung der Stunde fand damals quasi vor seiner Haustür statt. Mit Gitarre und Ukulele, Banjo und Waschbrett gingen zehntausende bei den Ostermärschen auf die Straße gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Fasia Jansen aus Oberhausen, Gerd Semmer und die Conrads aus Düsseldorf schrieben auf Skiffle-Melodien erste deutsche Texte, die Frank bei den Ostermärschen und vor allem 1966 beim 3. Waldeck-Festival hört: „Auf der Burg Waldeck erlebte ich etwas später im Sälchen des alten Säulenhauses […] die Kraft, die von diesen Blues bzw. Skiffle-Stücken ausgeht: „Freunde, der Ofen ist noch nicht aus…“ Auch Hannes Wader und Hanns-Dieter Hüsch hatten dort ihre ersten Auftritte.
Wegweisend waren für Frank Baier besonders die Vertonungen des Essener Schriftstellers Thomas Rother durch den Liedermacher Bernd Witthüser, die er in seinen ersten Solo-Konzerten sang. Um 1970/71 gründete Frank gemeinsam mit Rolf Hucklenbruch und Harald Golbach die Gruppe Kattong, die mehrfach im Vorprogramm von Ton Steine Scherben und in Justizvollzugsanstalten und Fürsorgeheimen spielte.
Frank hatte ein sicheres Gespür für die Themen, die die Menschen um ihn herum bewegten. Auch da war er in vielem beeindruckend früh. Er sang schon vor in den 70er Jahren für bezahlbares Wohnen und gegen Spekulanten, half ein Atomkraftwerk in Kalkar zu verhindern und spielte lange vor den Morden in Mölln und Solingen deutsch-türkische Lieder gemeinsam mit Mesut Çobanoğlu.
Und 1979 half er mit seinen Liedern, die Duisburger Rheinpreußen-Siedlung vor dem Abriss zu retten und in eine Genossenschaft zu überführen. Die Fotos vom Solidaritäts-Konzert mit den Hungerstreikenden aus der Siedlung vor dem Duisburger Rathaus, wohin er kurzfristig seine Geburtstagsfeier verlegt hatte, zeigen ihn im Kreise von Helge Schneider, Fasia Jansen und vielen anderen. „Bloß kein großes Büffet mitbringen, die hungern!“ hatte er seine Gäste auf der Einladung noch ermahnt.
Mich jedenfalls hatte diese Radio-Sendung mit Franks Liedern unglaublich inspiriert und „angezündet“, wie Frank es genannt hätte. Es war der Beginn einer Freundschaft, die über Jahrzehnte andauerte und durch Höhen und Tiefen führte.
Konzertreihe sonntags live 11.05 – 12.00 Uhr. WDR, 29. 4. 1979, Frank Baier solo